5 Fragen an: Maya Reichert, Leiterin von DOK.education
Maya Reichert hat Dokumentarfilm an der Hochschule Fernsehen und Film München studiert und arbeitet jetzt dort in der Abteilung Drehbuch mit Professorin Doris Dörrie. Diesen Herbst hat sie die Leitung von DOK.education übernommen. Wir haben sie zu den Zielen und Angeboten von DOK.education befragt.
„DOK.education soll die Sinne schärfen, um ein mündiger Mediennutzer zu werden."
Du sprichst über die „Schule des Sehens“, wenn Du von DOK.education erzählst. Warum muss man Sehen lernen und wie lernt man das?
Castingshows wie Germanys Next Topmodel und DSDS belegen seit Jahren Platz 1 auf der Liste dessen, was Kinder und Jugendliche im Fernsehen am häufigsten schauen. Dabei ist den meisten Jugendlichen und auch vielen Erwachsenen nicht bewusst, wie sehr gestaltet dieses Fernsehformat ist - der komplette Ablauf ist in einer Format-Bibel festgelegt.
DSDS beispielsweise wird in Lateinamerika, USA, Israel, Dänemark etc exakt genau so erzählt wie bei uns. In jedem Land gibt es eine Jury, bei der ein Fiesling mit dabei ist. Bei Folge X kommt immer ein bisher unentdeckter Protagonist aus der hinteren Reihe plötzlich nach vorne, in der Folge Y wird bei dem vermeintlichen Sternchen immer plötzlich eine Schwäche bekannt. Die Castingteilnehmer sind natürlich reale Menschen, die wirklich gewinnen wollen, die wirklich singen können oder auch nicht. Aber die Macher ziehen die Fäden im Hintergrund und entscheiden, wann sie welches Detail zeigen und einsetzen und damit den Ablauf der Sendung und die Dramaturgie der Unterhaltung der Zuschauers steuern. Das ist vielen Menschen kaum bewusst, ähnlich wie bei den Scripted Reality Formaten, die von vielen für Dokumentarfilme gehalten werden.
Das Programm von DOK.education soll darum einen Blick mitgeben dafür, was dramaturgisches Erzählen ist. Es soll die Sinne schärfen, um bewegte Bilder, Fernsehformate, Filme usw. in ihrer Machart lesen zu können und ein mündiger Mediennutzer zu werden.
Warum ist der Dokumentarfilm dafür geeignet?
Weil der Dokumentarfilm eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit ist. Jeder weiß, dass ein Dokumentarfilm mit echten Menschen gemacht wird, die keine Schauspieler sind und dass er Realität abbildet. Nichts destotrotz wird auch im Dokumentarfilm eine Erzählung gestaltet durch die Auswahl dessen, was man zeigt oder eben nicht zeigt, durch die Reihenfolge in der man montiert und durch die Stilmittel, die man dazu einsetzt.
Der Dokumentarfilm bietet Inhalte die kulturell, politisch und gesellschaftlich wirklich wertvoll sind. Es ist schwierig, die Kinder und Jugendlichen damit zu erreichen. Umso wichtiger ist es, die Castingformate nicht zu verteufeln. Wir wollen keine Fronten aufbauen, sondern die Wahrnehmung der Kinder und Jugendlichen erweitern. Ihnen zeigen, wie der künstlerische Dokumentarfilm gemacht wird und wie dort erzählt und der Zuschauer berührt und geführt wird. Wer das einmal wirklich verstanden hat, der kann dieses Wissen nachhaltig auf andere Formate anwenden.
Wie läuft das in der Praxis ab?
Die Dokumentarfilmschule ist der wichtigste Programmbereich von DOK.education. Wir haben ein geschlossenes Programm für Schulen. Da kommen die Lehrer mit ihren Klassen zu uns. Und wir haben offene Programme Kinder, Familien und Horte. Wie jetzt am 21. Dezember in der HFF zum Tag des Kurzfilms. Da kommt jeder wie er mag ohne Voranmeldung.
Altersgerecht haben wir kurze Dokumentarfilme für Grundschulen, Unterstufe und Mittelstufe im Angebot. Wir suchen immer Filme aus, in denen die Welt von Kindern und Jugendlichen eine große Rolle spielt - also Fragen, Sorgen, Träume, Gedanken der mit denen sich die Kinder identifizieren können. Diese Filme schauen sich die Schüler gemeinsam an, um im Anschluss den Filmemacher kennen zu lernen und Fragen zu stellen. Danach folgt ein Workshop, in dem eine Medienpädagogin mit den Kindern und Jugendlichen in Gruppenarbeit Fragen zum gesehenen Film erarbeitet. Die Ergebnisse werden am Ende des Workshops auf der Bühne präsentiert und gemeinsam besprochen.
Für die Lehrer bieten wir in Zusammenarbeit mit dem pädagogischen Institut auch Fortbildungen an und wir haben zu jedem Film Begleitmaterial erarbeitet, mit dem man thematisch weiterarbeiten kann im Schulunterricht.
Du suchst für die Dokumentarfilmschule die Filme aus. Worauf achtest du bei der Auswahl?
Unser Ziel ist es, inhaltlich die Perspektive von Kindern und Jugendlichen aufzugreifen und sie über die kunstvolle Machart des Dokumentarfilms auf Neues zu bringen, womit sie ihre Identität weiter entwickeln können. Bei der thematischen Auswahl spielt also die im Film erzählte Geschichte eine große Rolle. Jugendliche beschäftigen sich mit Themen wie Liebe, Stress mit den Eltern, dem eigenen Migrationshintergrund, Hobbies oder Mobbing. Bei den Jüngeren sind es eher Themen wie Freundschaft, fremde Lebenswelten anderer Kinder oder ein aktuelles Beispiel: Inklusion. Gerade habe ich einen eingereichten Film gesichtet, der eine Gruppe von Mädchen vorstellt, die ein körperlich und geistig beeinträchtigtes Mädchen in ihrem Sommerclub aufgenommen haben - in diesem Film erfährt der Zuschauer sehr viel über die Möglichkeiten und Grenzen von Freundschaft und Zusammenhalt. Und eine spannende Frage für die Diskussionen mit den Kindern und Jugendlichen: Die Kinder in diesem Film wirken sehr selbständig – als ob sie ohne die Erwachsenen schon auskämen – was ist daran „wirklich“, was macht der Film?
Du bist ja selbst Mutter. Empfindest du Fernsehen und Multimedialität eher als bereichernd oder als belastend?
Ich bin bis zu meinem siebten Lebensjahr komplett ohne Fernsehen aufgewachsen und durfte auch bis ich 14 war nur speziell ausgewählte Filme gucken. Vielleicht wurde gerade dadurch das Medium Film so wichtig für mich, ich hab dann oft heimlich ferngesehen und später sogar Film studiert - was sicherlich nicht das Ziel meiner Mutter war.
Bei meinen eigenen Kindern erstaunt es mich, wie früh sie Fernsehen, die Wii, Spiele auf dem Smartphone oder Whats App benutzen und verstehen können. Ich finde es toll, das zu sehen und sehe darin ein großes kreatives Potential. Mir ist es aber auch wichtig, dass meine Kinder das „analoge Spielen“ - wie wir das zuhause scherzhaft nennen – nicht verlernen. Wir haben als Eltern und Lehrer die Verantwortung, Kindern und Jugendlichen einen gesunden Umgang mit den Medien beizubringen – mit den neuen, mobilen, digitalen, einfach mit allen Medien
Haben Sie Fragen zum Programm für Mai 2014 und Interesse in unseren DOK.education-Newsletter aufgenommen zu werden? Dann wenden Sie sich gerne direkt an Frau Reichert: reichert@dokfest-muenchen.de!
Zum Programm von DOK.education >>.
Interview: Samay Claro