Warum Filmpraxis an der Schule gewinnbringend ist
Schulfilm-Experte Hans Rambeck über Faktoren, die zum Gelingen beitragen
Hans Rambeck hat die Multiplikatorenausbildung für Lehrkräfte im Bereich Film und Theater an der Akademie für Lehrkräftefortbildung in Dillingen entwickelt, wo er bis heute unterrichtet. Er organisiert die „Filmtage bayerischer Schulen", ist im Vorstand des Vereins Drehort Schule e.V. tätig und beschäftigt sich primär mit der Erstellung, der Begleitung und der Rezeption von Filmen durch Kinder und Jugendliche an bayerischen Schulen. Johann Rambeck erhielt im Jahr 2024 den Ehrenpreis für sein Lebenswerk in "Film und Schule". >> Zur Laudatio
Im Interview mit Maya Reichert erzählt er von der Projektwoche an einer Mittelschule und wichtigsten Faktoren für die praktische Filmarbeit mit Jugendlichen.
An der Hyazinth-Wäckerle Mittelschule in Lauingen wurde eine Filmwoche mit den Schüler*innen durchgeführt. Was ist der große Unterschied, wenn Schüler*innen sich eine ganze Woche mit Film beschäftigen?
Schule hat Strukturen, Abläufe und Rituale. Eine Projektwoche bricht das auf und schafft Raum und Zeit für neue Erfahrungen. Das Ziel ist ein Produkt, auch ungewöhnlich, weil Schule ansonsten nichts ‚produziert‘. Die Schüler*innen lernen nicht nur technische oder gestalterische Methoden, sie lernen sich selbst auch neu kennen, erfahren z. B. etwas über ihr Durchhaltevermögen und die Fähigkeit im Team zu interagieren.
Wie baut man so eine Woche didaktisch und inhaltlich sinnvoll auf?
Warmups sind wichtig, Theorieeinheiten wechseln sich mit kleinen Übungen ab. Ergebnisse werden sofort ausgewertet. Fehlerfreundliches Lernen fördert Offenheit und Vertrauen. Mit iPads oder Smartphones zu drehen ist mehr als einfach, wenn aber ernsthaft gefilmt werden soll, gelten bestimmte Regeln: Wir arbeiten ohne Zoom und möglichst ohne Schwenk. Wir achten auf klaren Bildaufbau, vermeiden störenden Hintergrund, setzen natürliches Licht bewusst ein. Inhalte müssen ziemlich genau geplant werden. Es gibt Übungen zu Fragestellung und Interviewführung, zur störungsfreien Tonaufnahme. Auch wie man das Vertrauen der Protagonist*in gewinnt, muss geübt werden. Wir wollen ja etwas vom Leben der Interviewpartner erfahren, dürfen ihnen aber nicht zu nahetreten. Hier erkennen die Schüler*innen, wie verantwortungsvoll es ist, den anderen im Film zum Erzählen zu bringen, wie schwer Zuhören sein kann und wie beglückend es ist, wenn das alles funktioniert.
Die vier Teams hatten jeweils die gleiche Aufgabe: Ein*e Protagonist*in finden, ein Interview führen zu Essgewohnheiten in der verlorenen Heimat und anschließend die Zubereitung einer Mahlzeit in der aktuellen Küche der neuen Heimat drehen. Außerdem mussten sie ergänzende Bilder aufnehmen, die in den Ort einführen.
Im Schnitt des Materials konnte so auf zwei Ebenen erzählt werden: Jemand kocht eine Mahlzeit und im Text läuft dazu die Erzählung, wie es früher war. Diese Bild-Ton-Schere erzeugt Spannung und regt die Phantasie des Zuschauers an. Beim Schnitt erkennen die Schüler*innen die enormen Gestaltungsmöglichkeiten von Filmsprache und schaffen so eine eigene Erzählung.
Woran misst sich denn Gelingen? Was braucht man für das Gelingen?
Das Projekt kann auf verschiedenen Ebenen gelingen: Schüler*innen sehen anschließend Filme anders. Sie erkennen die Machart, im Idealfall gelingt eine distanziertere Haltung zur Medienflut. Andererseits erleben Jugendliche, dass sie mit ihrem Film sehr ernstgenommen werden. Und erstaunlich ist auch, wie Jugendliche sich begeistern lassen und mit zunehmender Genauigkeit an ihrem Werk feilen, bis es ihren Ansprüchen genügt. Es geht dabei nicht um Ehrgeiz, sie sind vielmehr elektrisiert vom künstlerischen Schaffensprozess.
Würde man die Schüler*innen die Filmform entscheiden lassen, würden sie vermutlich Horrorfilm oder Superheldenmovie wählen. Warum Dokumentarfilm? Und würden Sie dieses Genre empfehlen?
Eine Person zu ihrem Leben zu befragen ist nicht unbedingt üblich unter Jugendlichen. Auch für Erwachsene ist es ungewöhnlich von Jugendlichen befragt zu werden. Die für beide Seiten neue Situation erzeugt meistens überraschende Offenheit. Hier liegen Charme und Chance des Dokumentarfilms.
In unserem Projekt wurden Eltern befragt. Denkbar ist auch ein Befragen der Großeltern. Die Kamera und die Aufgabenstellung gibt den Fragen der Jugendlichen Ernsthaftigkeit und Gewicht. Und auch sie selbst werden anders, erwachsener wahrgenommen. Am Ende hatten alle Schüler*innen einen Entwicklungssprung gemacht.
Nun gibt es viele Lehrkräfte, die sagen, sie kommen mit ihrem Stoff kaum durch, dann auch noch Filme machen. Warum sollte das eine Schule dennoch erwägen?
Stoff und Prüfungen sind wichtig, die Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen ist aber mindestens ebenso wichtig. Und manche Schüler*innen sind bereit Aufgaben zu übernehmen, die sie sich sonst nie zugetraut hätten. Nahezu alle zentralen Schlüsselqualifikationen werden in einem Filmprojekt trainiert, insbesondere die Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen. Davon kann das Schulleben nachhaltig profitieren.
Sie haben die Multiplikatorenausbildung für Lehrkräfte im Bereich "Film und Theater" an der Akademie für Lehrkräftefortbildung in Dillingen entwickelt. Was genau lernen Lehrkräfte da?
Eine Gruppe engagierter Filmlehrer*innen begann von 20 Jahren in „Stützpunktschulen Film“ die aktive Filmarbeit mit Unterstützung von Ministerium und Wirtschaft voranzutreiben. Die Notwendigkeit einer fundierteren theoretischen und praktischen Basis war klar. Anfangs sehr zögerlich, inzwischen aber mit vollem Engagement übernahm die Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung in Dillingen die Kursorganisation, hier ist u.a. Günther Lehner zu danken. Dank der Hochschule für Fernsehen und Film München, insbesondere Prof. Dr. Michaela Krützen, standen professionelle Referent*innen zur Verfügung, die immer von erfahrenen Filmlehrer*innen ergänzt werden. Im Dokumentarfilmbereich freuen wir uns über die professionelle Unterstützung durch Daniel Sponsel vom DOK.fest München und Maya Reichert von DOK.education.
In der Ausbildung werden auf zwei Jahre verteilt in vier einwöchigen Kursen die Grundlagen des Filmens vermittelt. Alle Inhalte werden auf die Ebene des Einsatzes im schulischen Kontext bezogen. Die Genres fiktionaler Film, Dokumentarfilm, Trickfilm und Experimentalfilm werden in Schwerpunkten vorgestellt und geübt. Die Teilnehmer*innen drehen während der Qualifizierung und in den Zeiten zwischen den Kursen mit ihren Schüler*innen mehrere Filme.
Was hat ein*e Schulleiter*in davon, eine Lehrkraft zu dieser Ausbildung zu schicken?
In den Jahrgangsstufen 5 und 6 der weiterführenden Schulen in Bayern können „Filmklassen“ eingerichtet werden, wobei qualifizierte Lehrkräfte erforderlich sind. Grundkenntnisse im Bereich Film sind angesichts grassierender Fake-News und bedrohlicher Entwicklungen in den Sozialen Medien mehr als wichtig, um Heranwachsende für die mediale Welt fit zu machen. Film steht ja inzwischen auch in den Lehrplänen aller Schularten.
Was ist in den letzten Jahren in Bayern noch passiert, um den Film in den Schulen zu fördern?
Mit AUFBLENE 2022 wurde im vergangenen Jahr das erste Schulfilmfestival der deutschen Sprache aus der Taufe gehoben. Im zweijährigen Rhythmus bietet dieses Onlinetreffen einen spannenden Einblick in die Filmarbeit der anderen Bundesländer und auch der deutschen Auslandsschulen. In Foren und Workshops gibt es Gelegenheit zum fachlichen Austausch und zum Blick über den Zaun.
Und das Institut für Schulpädagogik und Bildungsforschung hat im vergangenen Jahr eine sehr praktikable Handreichung Film in der Schule herausgegeben, die auch online verfügbar ist. Meine absolute Empfehlung!
Herzlichen Dank für das wertvolle Gespräch!
Der Filmworkshop fand im Rahmen des Projekts “Alles Glaubenssache? Prävention und politische Bildung in einer Gesellschaft der Diversität” der Evangelischen Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung in Kooperation mit Drehort Schule e.V. und DOK.education statt und wurde gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
>> Zu den Projektergebnissen
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