GAMBIT

CH 2005 – Regie: Sabine Gisiger – Originalfassung: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch – Untertitel: Englisch – Länge: 107 min.

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  • Sat, 5/6/06
    19.30
    Filmmuseum
    OmeU
  • Mon, 5/8/06
    20.00
    ARRI Kino
    OmeU

1976 wird das norditalienische Dorf Seveso schlagartig bekannt. Nach einer Explosion in der kleinen Fabrik Icmesa - Tochter der Genfer Firma Givaudan, die zum Schweizer Chemieriesen Hoffmann-La Roche gehört - tritt hochgiftiges Dioxin aus. Eine Katastrophe für Mensch und Natur. Die Bevölkerung wird evakuiert, zehntausende Tiere verenden. Als Bauernopfer muss nach dem Unfall der junge Chemiker Jörg Sambeth herhalten: der technische Direktor der Givaudan wird schließlich zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Doch bei seiner Suche nach den Ursachen für das Unglück tun sich Abgründe auf, die seinen Vorgesetzten schaden könnten. Soll er es mit dem Konzern aufnehmen?

Gambit rollt den Fall Seveso anhand von Sambeths Berichten und Archivmaterial neu auf. Ein spannendes Lehrstück über die Mechanismen der Macht, über manipulierte Wahrheit und fatale Abhängigkeiten.

"Ein dramaturgisch fesselndes und manchmal sogar tragikomisches Stück Zeit- und Wirtschaftsgeschichte. Gambit gewährt Einblicke in den Olymp der Macht, die strahlende Welt einer Schweizer Konzernspitze, die am liebsten mit Pomp und großem Aufwand die eigenen Erfolge feiert, dann jedoch ein paar Franken bei Sicherheitssystemen sparen möchte. Die im Fall der Katastrophe zuerst gar nicht, danach unkoordiniert bis stümperhaft reagiert, nicht zuletzt, weil eine starre interne Hierarchie keinen Widerspruch, ja nicht mal den Zweifel zuließ." Semaine de la Critique, Locarno 2005

Der "Fall Seveso"

Am 10. Juli 1976 explodiert ein Reaktor der Chemiefabrik Icmesa beim norditalienischen Städtchen Seveso. Eine weiße Wolke tritt aus, die einen üblen Geruch verbreitet. Tagelang beschwichtigen die Verantwortlichen. Dann geben sie bekannt, dass neben Trichlorphenol auch hochgiftiges Dioxin ausgetreten ist. Erst zwei Wochen nach dem Unfall ist das Ausmaß der Katastrophe so weit geklärt, dass die Bevölkerung evakuiert wird. 15.000 Quadratkilometer, auf denen 37.000 Menschen lebten, sind verseucht. Zehntausende von Vögeln und Haustiere verenden. In den Folgejahren werden 77.000 Nutztiere getötet. 447 Menschen, vor allem Kinder, leiden an Hautverätzungen. Da vermutet wird, dass Dioxin Embryonen schädigt, brechen viele Frauen ihre Schwangerschaft ab. Offiziell bezahlt die Firma Hoffmann-La Roche 350 Millionen Franken an Private und Behörden für Dekontaminierung und Wiedergutmachung. "Seveso" war der bis dahin schwerste Chemieunfall in Europa und wurde zum Symbol.

Preise: Prix de la Semaine de la Critique, Locarno 2005; Publikumspreis, Duisburg 2005

PRESSESTIMMEN (Auswahl)

"'Die Kleinen hängt man, die Grossen lässt man laufen': so misstrauisch urteilt der Volksmund, wenn Justitia Schuldige eines Debakels auftreiben sollte und ihr die Waagschalen aus dem Gleichgewicht geraten. Doch im Falle vom "Seveso-Unglück" 1976, als die Icmesa weite Landstriche um die kleine lombardische Gemeinde mit hochgiftigem Dioxin verseuchte, wurde der Gerechtigkeit Genüge getan. Mit Jörg Sambeth, dem technische Direktor der Givaudan in Genf, deren Tochterfirma die Icmesa war und die selbst eine Tochter der Roche ist, bestrafte man zumindest einen mittelgrossen Fisch. Alles gut also, könnte man meinen. Zwar bekennt sich der Verurteilte heute noch schuldig, zeigt ehrliche Reue, Scham und Menschlichkeit noch dazu, doch der investigative Dokumentarfilm von Sabine Gisiger zeigt ein weit komplexeres Bild. Auch Herr Sambeth war nur ein Bauernopfer (bei Eröffnungen im Schach auch "Gambit" genannt), trefflich eingesetzt, um als alleiniger Sündenbock seine direkten Vorgesetzen und vor allem den guten Namen der Hoffman-La Roche zu entlasten.

Die bewegte Lebensgeschichte von Sambeth, der im Gespräch ausgiebig zu Wort kommt, bildet nur den roten Faden des Films, der mit Archivmaterial, Dokumenten und weiteren Interviews ein dramaturgisch fesselndes und manchmal sogar tragikomisches Stück Zeit- und Wirtschaftgeschichte schreibt. Er gewährt Einblicke in den Olymp der Macht, die strahlende Welt einer Schweizer Konzernspitze, die am liebsten mit Pomp und grossem Aufwand die eigene Erfolge feiert, dann jedoch ein paar Franken bei Sicherheitssystemen sparen möchte. Die im Fall der Katastrophe zuerst gar nicht, danach unkoordiniert bis stümperhaft reagiert, nicht zuletzt, weil eine starre interne Hierarchie keinen Widerspruch, ja nicht mal den Zweifel, zuliess. Trotzdem betreibt Gisigers Film keine Effekthascherei, die mit boulevardjournalistischem Zeigefinger vorverurteilt oder den Scoop herbeizerren will. Im Zentrum stehen stets nüchterne, sorgfältige Recherchen, die bis in naturwissenschaftliche Details gehen und daneben vor allem die menschliche Seite beleuchten - mit all ihren Vorzügen und Schwächen.

Und noch ein Nachtrag: Auch höher gestellte Beteiligte wurden von der Filmemacherin um Stellungnahme vor der Kamera angefragt. Sie lehnten ab mit dem Argument, nach so vielen Jahren würde sich doch niemand mehr für dieses Thema interessieren. Mal sehen." (tb) Semaine de la Critique, Locarno 2005

"(Eine) höchst intelligente Rekonstruktion der Giftkatastrophe von Seveso ... Mit ihrem Protokoll der Schachzüge der damaligen Hauptakteure entwirft die Zürcherin Sabine Gisiger nicht nur die tragische Biografie des Bauernopfers - eines "technischen Direktors" der Roche - sondern überdies die Soziologie eines Weltunternehmens, das als unfehlbar betrachtet wurde." NZZ Neue Zürcher Zeitung

"Mit feinem Sinn für menschliche Zwischentöne zeichnet die Regisseurin filmisch eindrucksvoll die Mechanismen eines Krisenmanagements auf, das in die Leere läuft. GAMBIT ist das gelungene Psychogramm eines Industriegiganten, der auch in der Krise unbeirrbar an seinem gnadenlosen Gewinnstreben festhält. Eine Strategie, die rentiert, auch wenn Menschen auf der Strecke bleiben." Filmdienst

"In einem brisanten Film (werden) eindrucksvoll die Mechanismen eines desolaten Krisenmanagements aufgezeichnet. Wenn es um Geld geht, bleiben Menschen auf der Strecke, das ist die Botschaft." Baslerstab

"Ein spannender Film (...) über die Mechanismen der Macht und die Ohnmacht der Mitmacher. (...) Sabine Gisiger inszeniert diese Geschichte mit einer spielfilmwürdigen Dramaturgie einerseits als komplexen Politkrimi um eine atemberaubende Kultur der Verantwortungslosigkeit und andererseits als anrührende Lebensgeschichte eines Mannes, der einen weiten Weg gegangen ist und tief in jene Machtstrukturen hineingeblickt hat, von denen er einst selber ein Teil war. (...) Der Film ist in seiner weit verzweigten und virtuos montierten Recherche sowie dem konsequenten Verweigern einfacher Antworten jedoch viel mehr als nur die Verfilmung einer spannenden Lebensbeichte, sondern auch ein visuell gelungenes Drama um Schuld und Verantwortung." Zürichsee-Zeitung

Regie SABINE GISIGER, geb. 1959 in Zürich, Studium der Geschichte in Zürich und Pisa. Ausbildung zur Fernsehjournalistin beim Schweizer Fernsehen SF. Seit 1991 als freie Dokumentarfilmregisseurin tätig.

Filme (Auswahl) 1990 Die letzte Jagd, 1995 Motor Nash, 1996 Leben im HipHop, 2001 Do it (gemeinsam mit Marcel Zwingli; DOK.FEST 2001), 2003 Homeland, 2005 Gambit

Autor*in: Sabine Gisiger. Kamera: Reinhard Köcher, Helena Vagnière. Ton: Andi Litmanowitsch. Schnitt: Patricia Wagner. Musik: Peter Bräder, Balz Bachmann. Produktion: Dschoint Ventschr Filmproduktion / SF DRS / WDR. Produzent*in: Karin Koch. Weitere Produzent*innen: SF DRS (Paul Riniker) WDR (Felix Kuballa).

Wettbewerb (2002-2009) 2006
  • Sat, 5/6/06
    19.30
    Filmmuseum
    OmeU
  • Mon, 5/8/06
    20.00
    ARRI Kino
    OmeU